Blick in die Branche: CO₂-Fußabdruck der Zahnarztpraxis senken
Peter Frieß und sein Team von Fokus Zukunft haben bereits über 1.800 Unternehmen auf dem Weg in die Klimaneutralität begleitet. Im Interview haben wir ihn gefragt, wie Zahnarztpraxen ihren CO₂-Fußabdruck senken und kompensieren können.
Peter Frieß ist Gründer und Vorsitzender der Geschäftsführung der Fokus Zukunft GmbH & Co. KG. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre war er 25 Jahre als Geschäftsführer im Luftverkehr, Finanzvorstand im Großhandel und CEO im Energiebereich tätig. Wegen eines Versprechens an seinen Enkel beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit und unterstützt Unternehmen dabei, eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.
Inhalte
I Beratung von Zahnarztpraxen für mehr Nachhaltigkeit
II CO₂-Fußabdruck messen und Emissionen verringern
Beratung von Zahnarztpraxen für mehr Nachhaltigkeit
Hallo Herr Frieß. Was genau umfasst die Beratungsleistung von Fokus Zukunft?
Zunächst einmal müssen wir den Statuts Quo erfassen. Was genau braucht die Zahnarztpraxis? Müssen wir bei Null anfangen oder gibt es ggf. schon eine Nachhaltigkeitsstrategie, die als Ausgangsbasis für weitere Maßnahmen dient? In den meisten Fällen ist das Thema Nachhaltigkeit bisher leider noch vernachlässigt worden, sodass wir theoretisch unser ganzes Leistungsportfolio einmal von vorne bis hinten durchspielen könnten. Das fängt bei der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie an, beinhaltet die Ausarbeitung einer Klimastrategie und berücksichtigt auch die Sensibilisierung der Mitarbeitenden.
Das klingt nach viel Arbeit und hohen Kosten für die Inhaber:innen.
Es gibt tatsächlich viele Möglichkeiten, um als Praxis einen sinnvollen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft zu leisten. Dabei kommt es nicht darauf an, alle Optionen auf einmal auszuschöpfen – das wird kaum möglich sein. Als Nachhaltigkeitsberatung helfen wir gerne beim Portionieren des Elefanten und gucken mit unseren Kund:innen genau hin, was in der individuellen Situation gerade am sinnvollsten ist.
In Zeiten einer durch Krieg und Pandemie gebeutelten Wirtschaft kann ein begrenztes Budget zwar ein Argument sein, aber es zählt angesichts unübersehbarer Wetterextremen auch nicht als Argument für gar nichts tun. Bereits mit wenig finanziellem Aufwand können sich Unternehmen und Zahnarztpraxen für den Klimaschutz engagieren und wir von Fokus Zukunft zeigen gerne wie.
Wichtig ist es, überhaupt anzufangen und sich nicht vom Umfang an Optionen abschrecken zu lassen.
– Peter Frieß
Der erste Schritt ist oft der schwierigste. Berater helfen, die richtigen Optionen herauszufinden | Quelle: Shutterstock.com, Flamingo Images
Wie fängt eine Zahnarztpraxis am besten an, wenn sie bisher wenig oder gar nichts aktiv im Bereich Klimaschutz/Nachhaltigkeit getan hat?
Ein gutes Thema zum Einstieg ist allgemein die Berechnung des CO₂-Fußabdrucks. Abhängig von ein paar Faktoren wie Unternehmensgröße, Branche, Datenbereitstellung etc. kann die Bilanzierung des sogenannten Corporate Carbon Footprint innerhalb weniger Wochen erfolgen. Das Ergebnis der Treibhausgasbilanzierung dient dann als Grundlage, um Minderungspotenzial zu identifizieren, Reduktionsmaßnahmen zu erarbeiten und deren Wirksamkeit zu bewerten. Für die Erarbeitung einer langfristigen Klimastrategie ist die Erstellung der Treibhausgasbilanzierung essentiell.
Wie gehen Sie bei einer solchen Treibhausgasbilanzierung vor?
Zunächst definieren wir mit der Zahnarztpraxis den Leistungsumfang, also welche Systemgrenzen bei der Bilanzierung in Anlehnung an den Standard des international anerkannten Greenhous Gas Protocols abgebildet werden sollen.
Scope 1 (Emissionen, für die man direkt Verantwortung trägt, z.B. Energieverbrauch zum Heizen, Fuhrpark) und Scope 2 (Emissionen aus eingekaufter Energie: Strom und Fernwärme) sind dabei gesetzt.
Bei Scope 3 gibt es eine gewisse Freiwilligkeit, wobei es bei der Bilanzierung von Zahnarztpraxen bisher noch schwierig ist, diese Emissionen zu erfassen. Darunter fallen alle Emissionen im Zusammenhang mit Produkten, die für die Behandlung der Patient:innen durch die Praxis eingekauft werden – einschließlich des Transports dieser Produkte und ihrer Verpackung.
Das müssen Sie bitte genauer erklären.
Anders als es vielleicht der Name vermuten lässt, werden bei der Ermittlung des CO₂-Fußabdrucks nicht nur die Emissionen im Zusammenhang mit dem bekannten Kohlendioxid berücksichtigt, sondern auch die sechs weiteren vom Weltklimarat IPCC und im Kyoto-Protokoll festgelegten Haupttreibhausgase Methan (CH4), Distickstoffmonoxid (N2O), Fluorkohlenwasserstoffe (FKWs), Perfluorcarbone (PFCs), Stickstofftrifluorid (NF3) und Schwefelhexafluorid (SF6) einbezogen.
Nicht jedes der sieben Haupttreibhausgase ist dabei gleichermaßen wirksam, so ist z. B. Methan 25-mal so klimaschädlich wie CO₂. Um die Emissionen miteinander zu vergleichen, werden daher alle Treibhausgase mittels Emissionsfaktoren auf CO₂ umgerechnet. Man spricht dann auch von CO₂-Äquivalenten.
Für viele Bereiche existieren solche Faktoren bereits, beispielsweise müssen für Strom CO₂-Emissionen pro Kilowattstunde ausgewiesen werden. Umrechnungsfaktoren für Produkte und Verpackungen im Dentalbereich gibt es momentan aber noch nicht, weshalb sich die Bilanzierung von Zahnarztpraxen momentan noch auf Scope 1 und 2 und ausgewählte Elemente aus Scope 3 beschränkt. Die Vorprodukte können leider noch nicht bewertet werden.
Verfälscht das Weglassen von Scope 3 aber dann nicht das Ergebnis?
Nicht unbedingt. Auch hier gilt wieder: Lieber erstmal nur Scope 1 und 2 und Teile von Scope 3 bilanzieren und für diese Bereiche Reduktionsmaßnahmen einleiten als gar nichts tun.
Es kommt in diesem Zusammenhang vor allem auch darauf an, was Zahnärzt:innen kommunizieren. Meine Empfehlung ist, dass sie die der Bilanzierung zugrunde liegenden Systemgrenzen offen kommunizieren und auf die Absicht hinter ihrem Engagement eingehen – je transparenter und eindeutiger sie kommunizieren, desto besser werden die Patient:innen und andere Stakeholder ihre Bemühungen für den Klimaschutz einstufen können.
Wenn alle an einem Strang ziehen, wird vieles möglich; das gilt auch für Umweltschutzbemühungen| Quelle: Shutterstock.com, Andrey_Popov
CO₂-Fußabdruck messen und Emissionen verringern
Welche Voraussetzungen müssen von Seiten der Zahnarztpraxen erfüllt sein, damit Fokus Zukunft den CO₂-Fußabdruck berechnen kann?
Um den CO₂-Fußabdruck berechnen zu können, benötigen wir von der Zahnarztpraxis möglichst genaue Angaben, beispielsweise zu Strom- und Energieverbrauch, Abfallaufkommen, Mobilität etc.
Hierfür lassen wir unseren Kunden zu Beginn des Prozesses unsere Erfassungsmaske zukommen, die alle relevante Daten abfragt. Auf Wunsch sprechen wir diese Maske vorab telefonisch oder online zusammen durch, damit das Ausfüllen zügig und korrekt möglich ist.
Übrigens: Falls einmal keine Realdaten vorliegen sollten, können wir in Einzelfällen auch mit Schätzwerten oder Plandaten bilanzieren. Ein entsprechender Hinweis wird dann im Ergebnisbericht vermerkt und sollte dann natürlich auch wieder in der Kommunikation berücksichtigt werden.
Und auf Basis dieser zur Verfügung gestellten Daten ermitteln Sie dann den CO₂-Fußabdruck?
Genau. Wie oben bereits angesprochen, werden diese Verbrauchsdaten dann in CO₂-Äquivalente umgerechnet und ergeben in der Summe die Menge an Treibhausgasen, die direkt und indirekt durch die Geschäftsaktivitäten einer Praxis entstehen.
Natürlich erhalten unsere Kund:innen dann aber nicht nur eine Zahl als Endergebnis.
Sondern?
Bestandteil unseres Ergebnisberichts ist daher u.a. auch immer eine Übersicht zur Verteilung der Emissionen an der Gesamtbilanz. So ist auf einen Blick erkennbar, was die größten Treiber sind und über welche Stellschrauben man lang-, mittel- und kurzfristig positive Effekte erzielen kann.
Damit eine Zahnarztpraxis auf Basis des ermittelten CO₂-Fußabdrucks eine Klimastrategie aufbauen kann, sind vor allem die Teilergebnisse aus den einzelnen Kategorien interessant.
– Peter Frieß
Positive Effekte in kurzer Zeit klingt gut. Was sind denn Ihrer Erfahrung nach Hebel, die eigentlich immer funktionieren und jede Zahnarztpraxis vergleichsweise schnell anwenden kann?
Die Mitarbeitenden. Persönlich kann und sollte jeder Mitarbeitende darauf achten, z. B. nach Feierabend im Winter die Heizung zu reduzieren, die Stromversorgung für Computer & Co. über einen Kippschalter auszuschalten, nachhaltige Produkte einzukaufen, auf Mülltrennung und -vermeidung zu achten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren etc.
Wenn alle mitmachen, können diese vergleichsweise einfachen Maßnahmen in der Masse durchaus einen positiven Effekt auf den gesamten CO₂-Fußabdruck der Praxis haben.
Das funktioniert allerdings nur, wenn die Mitarbeitenden entsprechend zum Mitmachen motiviert werden, z. B. in Form eines Sensibilisierungs-Workshops durch Fokus Zukunft.
CO₂ in der Praxis kompensieren
Ist das Thema Kompensation auch eine kurzfristig umsetzbare Maßnahme?
Das ist durchaus eine Maßnahme, die Zahnarztpraxen nach der Berechnung ihres CO₂-Fußabdrucks in Betracht ziehen sollten. Durch die Methodik der Kompensation nach dem Prinzip des Clean Development Mechanism ist es möglich, Treibhausgasemissionen auszugleichen, indem in der Höhe des ermittelten CO₂-Fußabdrucks eine entsprechende Anzahl an Zertifikaten aus hochwertigen Klimaschutzprojekten erworben wird.
Ein Zertifikat steht dabei für eine Emissionsgutschrift und bedeutet, dass an anderer Stelle eine Tonne CO₂ zusätzlich eingespart oder eingespeichert wird. Das funktioniert, weil es letztlich auf die Gesamtmenge an Treibhausgasen in der Atmosphäre ankommt und nicht auf den Ort, wo etwas ausgestoßen oder eingespart wird.
Wichtig ist es aber, die Kompensation als zusätzliche Maßnahme zu betrachten und parallel an der mittel- und langfristigen Verminderung des CO₂-Fußabdrucks auf ein Minimum zu arbeiten. Jede Tonne CO₂, die erst gar nicht entsteht, ist besser als eine Kompensierte. Da es nach dem heutigen technischen Stand aber nicht möglich ist, per se CO₂-frei zu agieren, bietet die Kompensation nach unserer Auffassung momentan die beste Alternative, die klimaschädigende Wirkung von unvermeidbaren Emissionen auszugleichen.
Worauf sollten Zahnärzt:innen beim Kompensieren achten?
Sie sollten nur Zertifikate kaufen, die durch den Gold Standard, VCS (+CCBS) oder UN CER zertifiziert sind. Diese Standards garantieren die Einhaltung der wichtigsten Qualitätsmerkmale für international anerkannte Klimaschutzprojekte wie z. B. Zusätzlichkeit, Permanenz oder Messbarkeit. Die Validierung der Projektergebnisse in Bezug auf die erzielten CO₂-Einsparungen wird durch unabhängige Prüfinstanzen, wie beispielsweise dem TÜV, bescheinigt.
Am besten wählt man außerdem Klimaschutzprojekte, zu denen die Praxis einen Bezug hat – das unterstützt die ernsten Absichten hinter dem Engagement und stärkt die Argumentationsstruktur innerhalb der Kommunikation. Greenwashing-Vorwürfe werden so im Keim erstickt.
Zahnärzt:innen müssen gemeinsame Umsetzungsstärke beweisen | Quelle: Shutterstock.com, BalanceFormCreative
Abschließend noch eine Frage: Können wir es Ihrer Meinung nach noch schaffen, den Klimawandel zu stoppen?
Ganz aufhalten werden wir die Veränderungen im Klima nicht können, nein. Aber wir können und müssen alles daransetzen, den Klimawandel zu verlangsamen. Als verantwortungsbewusstes Unternehmen ist es heute keine Frage mehr ob, sondern wie man dafür einen Beitrag leisten kann.
Hierzu gibt es noch weitaus mehr Möglichkeiten wie die, die wir hier jetzt kurz angeschnitten haben. Ich würde mich freuen, interessierte Leser:innen auf der Reise zur nachhaltigen Zahnarztpraxis mit meinem Team von Fokus Zukunft begleiten zu dürfen.
Mehr Informationen finden sich auch unter fokus-zukunft.com.
Wir danken Peter Frieß für die spannenden Einblicke in seine wichtige Arbeit!
Möchtest du noch weitere Tipps von Zahnärzt:innen und Industrie, wie du mehr für die Nachhaltigkeit in deiner Praxis tun kannst?
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Über Fokus Zukunft:
Die Fokus Zukunft GmbH & Co. KG ist eine Nachhaltigkeitsberatung aus Starnberg, die auf die Klima- und Ökobilanzierung von Unternehmen, Produkten und Gebäuden sowie die ganzheitliche Beratung im Bereich betriebliche Nachhaltigkeit und Klimaschutzstrategie spezialisiert ist. Aktuell beraten 32 Mitarbeiter:innen über 1.800 Kunden branchenweit zur Klimaneutralität und weiteren Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Das Unternehmen ist Teil der SCHARR-Gruppe und verfolgt die Vision: „Heute das Morgen nachhaltig gestalten“.